Die geballte Faust
- 12. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Sept.
Genkotsu (拳骨) – Seiken (正拳)
im Karate

Eines der ersten Dinge, die einem Anfänger im Karate gezeigt wird, ist es eine Faust zu machen. Es ist erstaunlich zu beobachten auf wie viele unterschiedliche Arten dies geschieht, wenn man jemanden in den ersten Unterrichtseinheiten dazu auffordert die Hand zu einer Faust zu schließen. Die größten Variationen finden sich dabei in der Positionierung des Daumens, der Ausrichtung der Faust zum Handgelenk und die daraus resultierende Exposition der Fingergelenke.
Die „Standard-Faust“ im Karate um einen Stoß – Zuki (突) auszuführen ist mit der Stirnseite der Faust – Seiken (den zwei großen Fingerknöcheln des Zeige- und Mittelfingers). Es gibt noch eine Vielzahl von anderen Faustvarianten, diese alle zu beschreiben würde den Rahmen dieses Artikels allerdings sprengen.

Um auf diese Art effektiv und verletzungsfrei auf feste und weiche Ziele stoßen zu können, bedarf es der intensiven Vorbereitung der Trefferflächen und der Stärkung der am Stoß beteiligten passiven und aktiven Systeme des Bewegungsapparates.
Beim Treffen auf feste Ziele besteht die Gefahr von Abschürfungen, Prellungen und Bruch der auftreffenden Bereiche (Hautaufriss, Kapselverletzungen, Bruch der Mittelhandknochen,…).
Beim Treffen auf weiche Ziele besteht eher die Gefahr des Abknickens des Handgelenkes der auftreffenden Faust was ebenfalls zu Überdehnung, Verstauchung oder Bruch führen kann.
Zur Abhärtung und Vorbereitung der belasteten Körperteile werden im Karate daher diverse unterstützende Übungen - Hojo Undo (補助運動) geübt.
Eine wichtige Vorbereitungsübung sind Liegestütze und Halteübungen auf den Fäusten. Dabei ist darauf zu achten das die Fäuste und Gelenke richtig ausgerichtet sind und die Bodenberührung nur auf den beiden ersten Faustknöcheln und den oberen Fingergliedern des Zeige- und Mittelfingers stattfindet. Diese Übung härtet zum einen die Trefferfläche ab, stärkt die Handgelenke und dehnt und komprimiert die Hand, so dass sich die Hand kompakter schließen lässt und die Faustknöchel eine bessere Ausrichtung zur Trefferfläche einnehmen können.

Für die Entwicklung eines sauberen und starken Fauststoß - Seikentsuki (正拳突き) ist die Übung am Makiwara (巻藁) essenziell. Dabei werden viele Fauststöße auf einen mit einem Schlagpolster versehenen hölzernen Schlagpfosten ausgeführt. Wobei die Bezeichung „Polster“ nichts mit „weicher“ Polsterung zu tun hat. Das Polster kann aus Stroh, Leder, Holz oder Stein bestehen. Dies führt zu einer weiteren Abhärtung der Trefferflächen und zur Ausprägung eines Muskelgedächtnisses sowie zur Stärkung und verbesserten Koordinierung aller am Stoß beteiligten Köperregionen.

Während eines Aufenthaltes in Okinawa 2002 bei einem Seminar in Naha im Okinawa Prefectural Budokan unter der Leitung von Sensei Miyahira Katsuya 10. Dan Hanshi durfte ich eine Erklärung zu diesem Thema durch Sensei Miyahira erleben. Er erklärte uns anschaulich, wie man im Karate eine richtige Faust macht. Er nahm ein Blatt Papier und rollte es zusammen. Im Anschluss an diese Veranschaulichung sagte er das man seine Faust genauso zusammenrollen sollte. Ausgehend von den vordersten Fingergliedern werden die Finger Glied um Glied fest eingerollt, so dass keine Luft bzw. ein freier Zwischenraum mehr zwischen den Fingern vorhanden ist, danach verriegelt man den Zeige- und Mittelfinger mit dem Daumen, in dem man diesen an die mittleren Fingerglieder der ersten zwei Finger anlegt, ohne dass die Daumenkuppe übersteht. Die Art wie Sensei Miyahira uns dies erklärte hat mich nachhaltig beeindruckt und sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt.

Mein Lehrer Sensei Laupp 9. Dan Hanshi schrieb zur Übung der Makiwara-Technik einmal:
Das Üben der Makiwara Technik
Im Umgang mit dem Makiwara (Holz und Stroh) muss man ganz viel Sorgfalt walten lassen, da man sich bei falscher Handhabung Verletzungen zuziehen kann. "Ein Brett schlägt nicht zurück", sollte man meinen - aber es tut es doch, und das mit gewaltiger Kraft. Das Resultat kann man bestaunen, wenn man sich die Hände und Füße mancher ungeübter Karateka nach einer so genannten Makiwara-Übung anschaut.
Hier geht es nicht um unvermeidliche kleine Hautschäden. Es bedarf einer bestimmten Technik, damit man sich keine Verletzungen in den Gelenken und an den Knöcheln zuzieht. Oft sage ich zu meinen Schülern:
Die richtige Makiwara Technik zu üben, erfordert viel Geduld und innere Stärke. Man muss sich langsam über die richtige Technik, erst mit wenigen Fauststößen, Schlägen, Block- und Wechseltechniken an die regelmäßige Übung mit dem Makiwara gewöhnen.
Später sollte man sich langsam auf ca 200 Schläge pro Tag und Hand steigern.
Genauso wie man Schläge und Stöße mit den Händen am Makiwara übt, so übt man auch die Tritte an diesem Hilfsgerät. Am Makiwara bildet und stählt man aber nicht nur seine Gliedmaßen, oder seinen ganzen Körper - man stärkt vor allem seinen Geist. Ist die Technik beim Üben mit dem Makiwara falsch, schlägt das Makiwara zurück und man trägt eine Verletzung davon und muss bis zur vollständigen Ausheilung pausieren. Die Übung am Makiwara dient nichts anderem, als in einem inneren Kampf um das eigene "Ich" zu siegen. Aber um wirklich zu siegen, bedarf es der Selbstannahme des Ichs - der Übende muss sich selbst erkennen und sich des eigenen Daseins bewusst werden.
Die Frage, die sich in diesem Ringen um das eigene Selbst ergibt, lautet jedoch nicht etwa "Wer bin ich?", sondern "Was bin ich?'" Aber darüber muss man an dieser Stelle nicht unbedingt schriftlich philosophieren.

"Viel Makiwara zu üben, bedeutet viele Schmerzen, viel Schmerz regt zum Denken an, viel Denken, macht weise."
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